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Inwelten
Für die Penan, ein Volk, das in den Gebirgswäldern von Borneo lebt,
ist die Landschaft, in der sie sich bewegen, mit einer großen Dichte
von Bedeutungen aufgeladen. Einzelne Bäume, Flußläufe, Lichtungen
oder Höhen werden nach Ereignissen, die dort stattgefunden haben,
erinnert und benannt: die Anhöhe, auf der jemand von einem Tier
gebissen wurde; der Baum, in den eine inzwischen verstorbene
Nichte ein Zeichen gemacht hat; das Flußufer, an dem sich zwei Frauen in
einem Eifersuchtsstreit an den Haaren gezogen haben; die Lichtung,
wo dem Urgroßvater eine gute Melodie eingefallen ist.
Aber nicht nur werden Orte nach menschlichen Ereignissen erinnert
und benannt, es werden auch umgekehrt verstorbene Menschen nach
dem Ort benannt, wo sie begraben sind. Persönliche Erlebnisse sind
ebenso in die Landschaft eingewoben wie die kollektive Geschichte: wo
man einst ein Lager aufgeschlagen hatte, wo es einen Kampf gegeben
hatte usw.
Darüber hinaus sind bestimmte Stellen von unsichtbaren Wesen
bewohnt, die, wenn man sie durch Unachtsamkeiten reizt, allerhand
Unglück verursachen können.
Biographie, Geschichte, Landschaft und die Sphäre unsichtbarer
Kräfte sind eng miteinander verwoben.
Wenn ein Penan sich durch diese Landschaft bewegt, bewegt er sich
nicht durch eine Umwelt,
eine Naturkulisse, einen Außenraum, der
mit ihm nichts zu tun hat, sondern immer zugleich durch eine innere
Landschaft, die Lebende und Verstorbene miteinander in Beziehung
setzt. Zwischen Innenraum und Außenraum, Erinnerung und Gegen
wart kann keine Demarkationslinie gezogen werden.
Und so ist das Gedächtnis eines Penan auch nicht „in seinem Kopf “,
„in seinem Gehirn“, in irgendeiner isolierbaren neuronalen Struktur,
sondern in der Landschaft.
Wenn heute die Planierraupen der Holzfäller Schneisen in den Wald
schlagen, dann verwüsten sie nicht nur eine Umwelt, sondern
unzählige Inwelten:
Das persönliche Gedächtnis jedes Einzelnen ebenso wie den
großen geistigen Zusammenhang, der die Menschen verbindet.
Ein Penan sagte, was geschehen würde, wenn das Land einmal verwüstet
ist: Dann würde das Leben nur noch darin bestehen, in
brütender Hitze am Rande einer staubigen Bulldozer Piste zu sitzen und nichts zu tun.
Und tatsächlich: Was soll denn noch getan werden, wenn mit der Land
schaft das gesamte Bedeutungsgefüge, in dem jede Handlung überhaupt
erst ihren Sinn und ihre Motivation erhielt, verschwunden ist?
Für die BulldozerFahrer und ihre Auftraggeber sind die verlorenen
Gestalten am Straßenrand dann nichts als faule Eingeborene. Jetzt,
wo diese Steinzeitmenschen endlich in den kalten, bedeutungsleeren
Raum verfrachtet sind, der von Menschen, die nichts anderes kennen,
als Zivilisationbezeichnet wird, bestätigt sich, was man von den Primitiven immer schon wußte:
Daß sie wenig Verstand und keine Disziplin besitzen.
Leerer Raum
- Mr Knowitall
- Beiträge: 6473
- Registriert: Sa 23. Okt 2010, 12:38
- Instrumente: Lauter überteuerter Schrott!
Re: Leerer Raum
Es erinnert mich an nie Navi in dem Film Avatar. Sie musste weinen, weil ihr Wald zerstört wird.
Re: Leerer Raum
Das erinnert mich an die Geschichte über Bruno Manser(?bin nicht ganz sicher)
Es gibt eine tolle Doku über den von den Einheimischen "Laki Penan " genannten Schweizer(?auch hier nicht ganz sicher).
Such ich mal, wenn ich etwas mehr Zeit habe.
Es gibt eine tolle Doku über den von den Einheimischen "Laki Penan " genannten Schweizer(?auch hier nicht ganz sicher).
Such ich mal, wenn ich etwas mehr Zeit habe.
Re: Leerer Raum
Mr Knowitall hat geschrieben:Inwelten
(...)
Passt irgendwie zu dem Pina Bausch-Film, den ich gestern auf arte sah.
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