Beitragvon tortitch » Mi 8. Aug 2012, 17:53
Verständnishilfen zu Toms Link (für die, die sich für Hermeneutik interessieren).
Verständnishilfen können deshalb notwendig sein, weil die zitieren Gadamers und Heideggers sich in Denkmustern und einem Jargon bewegen, die heutzutage nicht mehr unbedingt nachvollziehbar sind. Selbst wenn bestimmt Begriffe heute noch geläufig sind, ist noch nicht gesagt, dass die Begriffe bei z.B. Gadamer mit der gleichen Bedeutung gefüllt sind wie heute.
Wie vielleicht schon mal erwähnt, folgen Heidegger und Gadamer weniger dem aufklärerisch-naturwissenschaftlichen Denkmuster, sondern eher der romantischidealistischen Tradition (Schleiermacher wird ja auch erwähnt, wenn man diesen grob der Romantik zuordnen will), die heute leicht befremdlich erscheinen mag, zumindest die Selbstverständlichkeiten unseres materialistischen-hedonistischen-säkularen Weltbildes nicht teilt.
Ein bisschen lebt der Antagonismus von Aufklärung und Romantik/Idealismus noch fort in dem Schisma „Geisteswissenschaft – Naturwissenschaft“. Die aufklärerisch-materialistische Naturauffassung setzte sich in den Naturwissenschaften ja schon spätestens seit dem 18. Jh. durch und war ja auch außerordentlich erfolgreich, wenn man die Entwicklung von Naturwissenschaft und Technik in den letzten – sagen wir – 200 Jahren betrachtet. Die animistische Naturphilosophie eines Schelling oder Novalis blieb doch nur kuriose Randerscheinung.
Neben den Naturwissenschaften etablierten sich (im 19. Jh.?) die „Geisteswissenschaften“, die die Bastion des Geistes gegen den Ansturm des materialistischen Monismus zu verteidigen trachteten. Allerdings konnten die Geisteswissenschaften nicht mit so imposanten Erfolgen aufwarten wie die Naturwissenschaften (heutzutage zittern die Geisteswissenschaftler ja sogar schon um ihre Existenzberechtigung).
Die Naturwissenschaftler und Wissenschaftsphilosophen konnten auf der methodischen Ebene auch recht genau angeben, was die Naturwissenschaft eigentlich macht: nämlich Erklären. Dabei gelang es auch dem Begriff des Erklärens einen einigermaßen klaren Sinn zu geben (grob vereinfacht: das Neue, die besondere Beobachtung auf Bekanntes (allgemeine Gesetze) zurückführen).
Das konnten die Geisteswissenschaftler nicht. Die Existenz eines Musikstücks lässt sich nicht einfach anhand allgemeiner Gesetze 'erklären' (ich wüsste nicht einmal, wie solche Gesetze da aussehen sollten). Ähnliches gilt für Historiker, Germanisten etc.
Nun kam man auf Seiten der Geisteswissenschaftler auf die Idee, sich vom Feld des Erklärens zu verabschieden und stattdessen einen genuinen Unterschied zwischen Natur- und Geisteswissenschaft zu behaupten. Sie sagten: Naturwissenschaften erklären, Geisteswissenschaften verstehen. Das machte es allerdings notwendig, dass man dem gut präzisierten Erklärungsbegriff einen ebenfalls präzisen Verstehens-Begriff zur Seite stellen konnte. Das brachte die Hermeneutik auf den Plan, die sich eben um den Verstehens-Begriff bemühte (z.B. Gadamer).