der größte Neuerer des 20. Jh.

Josef K

Re: der größte Neuerer des 20. Jh.

Beitragvon Josef K » Mo 2. Mai 2011, 14:06

Tom hat geschrieben:Ein schöpferischer Geist richtet sich an Regeln auf und macht diese durch seine Persönlichkeit obsolet.
Bach, Mozart, Beethoven, Webern, Stockhausen
aber nicht Mahler, Brahms, Schönberg . . . .
...Zappa :wave:

buttrock

Re: der größte Neuerer des 20. Jh.

Beitragvon buttrock » Mo 2. Mai 2011, 14:47

Tom hat geschrieben:@ Butt:
Ich will den Ursprung der Brucknerskala aus mir rausexorzieren, sonst würd ich gar nichts dazu schreiben.
Historisch gesehen ist "Klassik" sowieso als Gattung unhaltbar, genauso wie Jazz oder Indie. Selbe Prozedur.
Das hinterher bezeichnen ist Symptom der Macht, nicht zuletzt der ökonomischen.
Klassik oder andere Musik findet nur bei den hilflosen rational statt.

Ich hab das hinter mir. Es ist witzig, z.B. das sacre harmonisch zu analysieren (hab ich zumindest gefunden) meine Ohren sind trotzdem schneller als mein Hirn. Ich bin eh nicht so der Schnellchecker.

Drinnen ist draussen und am gefährlichsten.


ich meinte mit "Klassik" nich eine Musikgattung sonder die aethetische Tradition die bis in die Antike zurueck reicht und die eine grossen Einfluss auf unser Kulturverstaendnis hat und da drinn seh ich den Wunsch das "Schoene" objektiv begreifen zu wollen.
Das wurde ja angefangen spaetestens bei den Impressionisten zerschossen und von dem her ist es in meinen Augen schwierig moderne Musik in diesen Kategorien zu begreifen. Ganz davon abgesehn, dass Popmusik ihr Potential nicht darin hat, diese westliche musikalische Tradition in all ihren Finessen abzubilden. Das geht fast immer schief, weil dort fast immer Konzepte aufgegriffen werden, die dort wo sie entstanden sind schon alt sind. Popmusik kann etwas anderes, naemlich schneller agieren, Kreativitaet freisetzen ohne dass die Leute ueber eine Ausbildung verfuegen muessen und tradionslos arbeiten. Das sich Traditionen auch hier rausbilden, und es Saeulenheilige und die Zeiten in denen alles noch besser war gibt, ist nicht zu vermeiden, aber die Interessanten Sachen passieren dort wo die Leute davon frei sind.

gorch

Re: der größte Neuerer des 20. Jh.

Beitragvon gorch » Mo 2. Mai 2011, 14:57

Was Ihr über's Wochenende so schreibt. Ich war viel an der frischen Luft und quasi nicht am Rechner.

:ontopic:

Wie steht's mit Brian May? Eigenständiger Sound eigenständige Melodien und eigenständige Gitarre mit Serienverdrahtung der Pickups.

Tom Scholz von Boston und die in den 80ern Sound bestimmenden Rockman Module. Der X100 und alles was danach kam. Wenn ich mich nicht täusche, dann baute er auch den ersten Attenuator für Röhrenamps.

Wie steht's mit Angus Young? Erfinder und/oder Meister der eingängigen Gitarren-Riffs.

Tom

Re: der größte Neuerer des 20. Jh.

Beitragvon Tom » Mo 2. Mai 2011, 15:18

@ butt: ach das edle Einfalt, stille Größe ding.
Für mich zutiefst romantischer Geist. Rück besinnend und deshalb unvermeidlich reaktionär.
"Klassik" = Rezeption der Antike. "Früher war alles besser".
Der Wunsch nach dem Konfliktlosen, Eindeutigen. Geburt des Dogma. Papstmaschine.
"pupsig" von Kai verstand ich immer so.

Ich frag (aus eigenem Interesse) nach dem Wunsch, das Schöne objektiv begreifen zu wollen.
Wozu das? Weltformel = gleicher Geist.

Lieber freie Assoziation, Traumdenekn, Chaos, Fernwirkung, Verschränkung, Paralelluniversum. Auch wenn ich das nie richtig schreiben werd.

buttrock

Re: der größte Neuerer des 20. Jh.

Beitragvon buttrock » Mo 2. Mai 2011, 15:26

Tom hat geschrieben:@ butt: ach das edle Einfalt, stille Größe ding.
Für mich zutiefst romantischer Geist. Rück besinnend und deshalb unvermeidlich reaktionär.
"Klassik" = Rezeption der Antike. "Früher war alles besser".
Der Wunsch nach dem Konfliktlosen, Eindeutigen. Geburt des Dogma. Papstmaschine.
"pupsig" von Kai verstand ich immer so.

Ich frag (aus eigenem Interesse) nach dem Wunsch, das Schöne objektiv begreifen zu wollen.
Wozu das? Weltformel = gleicher Geist.

Lieber freie Assoziation, Traumdenekn, Chaos, Fernwirkung, Verschränkung, Paralelluniversum. Auch wenn ich das nie richtig schreiben werd.

eben. Darauf will ich raus. Ich nenn das dann manchmal Postmodern :mrgreen:

Man hoere sich die Off-Grid Percussion bei Burial an, das Chaos bei Krallice oder Liturgy, die Laermlandschaften von Sunn0))), der Slowmo-blues mit der Earth die Zeit anhalten, die Jazz meets 8bit collagen von Flying Lotus oder die Synthgemaelde bei Oneohtrix Point Never etc pp.

wobei Sunn0))) und Earth in diesen Thread gehoeren

Tom

Re: der größte Neuerer des 20. Jh.

Beitragvon Tom » Mo 2. Mai 2011, 17:11

Und hier trennen sich unsere Wege.
Bei den von dir so herzlich vorgeschlagenen Damnunherrn suche ich und finde nichts. Liegt aber eineindeutig an MIR.
Als Teil von UNS.

tortitch

Re: der größte Neuerer des 20. Jh.

Beitragvon tortitch » Mo 2. Mai 2011, 17:42

Tom hat geschrieben:
Lieber freie Assoziation, Traumdenekn, Chaos, Fernwirkung, Verschränkung, Paralelluniversum. Auch wenn ich das nie richtig schreiben werd.


DAS ist (früh-)romantischer Geist.

tortitch

Re: der größte Neuerer des 20. Jh.

Beitragvon tortitch » Mo 2. Mai 2011, 17:52

Tom hat geschrieben: Rück besinnend und deshalb unvermeidlich reaktionär.
"Klassik" = Rezeption der Antike. "Früher war alles besser".
.


Das ist sehr, sehr, wirklich sehr pauschaul.

tortitch

Re: der größte Neuerer des 20. Jh.

Beitragvon tortitch » Mo 2. Mai 2011, 18:59

buttrock hat geschrieben:
ich meinte mit "Klassik" nich eine Musikgattung sonder die aethetische Tradition die bis in die Antike zurueck reicht und die eine grossen Einfluss auf unser Kulturverstaendnis hat und da drinn seh ich den Wunsch das "Schoene" objektiv begreifen zu wollen.


Ohne Konkretisierung kann ich mir dabei GAR NICHTS denken.

buttrock hat geschrieben: Popmusik kann etwas anderes, naemlich schneller agieren, Kreativitaet freisetzen ohne dass die Leute ueber eine Ausbildung verfuegen muessen und tradionslos arbeiten.


Leute, die nichts von der Tradition wissen, sind nicht tradtionslos. Vielmehr würde ich sagen, dass sie IN der Tradition stehen. Vor allem würde ich Tradition nicht als Hindernis für Kreativität sehen, sondern als deren Nährboden. Das Genie überrragt den Durchschnitt so sehr, weil es auf den Schultern von Riesen steht (man mag mir das metaphorische Schwadronieren nachsehen).

Tom

Re: der größte Neuerer des 20. Jh.

Beitragvon Tom » Mo 2. Mai 2011, 19:33

tortitch hat geschrieben:
Tom hat geschrieben:
Lieber freie Assoziation, Traumdenekn, Chaos, Fernwirkung, Verschränkung, Paralelluniversum. Auch wenn ich das nie richtig schreiben werd.


DAS ist (früh-)romantischer Geist.


Wenn du hinter all dem eine lenkende Macht wünscht: Ja.
Der Wille ist die hohe Mauer, die Hingabe ist die endlose Kraft. Nicht von mir, find ich trotzdem schön. Richtig klassisch.

buttrock

Re: der größte Neuerer des 20. Jh.

Beitragvon buttrock » Mo 2. Mai 2011, 19:44

Tom hat geschrieben:Und hier trennen sich unsere Wege.
Bei den von dir so herzlich vorgeschlagenen Damnunherrn suche ich und finde nichts. Liegt aber eineindeutig an MIR.
Als Teil von UNS.

Nicht weiter schlimm das sind nur Beispiele fuer ein gewisses Vorgehen und eine gewisse Haltung, ausgwaehlt durch meinen Geschmack, der an der ganz klar durch sozialisation mit Metal,Hip Hop, Hardcorepunk gepraegt ist. Mal abgesehen von Toto und Police, hast du ja auch entsprechendes im Schraenklein ;) Nicht alles muss auf meinen Ipod davon, aber ich erkenne wer auf der guten Seite der Macht steht.

buttrock

Re: der größte Neuerer des 20. Jh.

Beitragvon buttrock » Mo 2. Mai 2011, 19:52

tortitch hat geschrieben:
buttrock hat geschrieben:
ich meinte mit "Klassik" nich eine Musikgattung sonder die aethetische Tradition die bis in die Antike zurueck reicht und die eine grossen Einfluss auf unser Kulturverstaendnis hat und da drinn seh ich den Wunsch das "Schoene" objektiv begreifen zu wollen.


Ohne Konkretisierung kann ich mir dabei GAR NICHTS denken.

Ich versteh unter dieser antiken Traditionslinie, die Annahme, dass Kunst Schoenheit nur in Nachahmung und Ueberhoehung der Natur finden kann. Dass es ein fundamentales Gesetz von Schoenheit gibt, dass sich praezise spezifizieren laesst und keinen Widerspruch duldet: Goldener Schnitt etc oder in unserem Fall die westliche Harmonielehre usw.
Diese Haltung ist im wesentlichen ueberholt. Es ist aber nicht so dass der Kontrapunkt deswegen weniger gut klingt, sondern darum auch andere Moeglichkeiten zu akzeptieren.
buttrock hat geschrieben: Popmusik kann etwas anderes, naemlich schneller agieren, Kreativitaet freisetzen ohne dass die Leute ueber eine Ausbildung verfuegen muessen und tradionslos arbeiten.


Leute, die nichts von der Tradition wissen, sind nicht tradtionslos. Vielmehr würde ich sagen, dass sie IN der Tradition stehen. Vor allem würde ich Tradition nicht als Hindernis für Kreativität sehen, sondern als deren Nährboden. Das Genie überrragt den Durchschnitt so sehr, weil es auf den Schultern von Riesen steht (man mag mir das metaphorische Schwadronieren nachsehen).

Mir geht es grade nicht um die Genies, um die die andere Ueberragen, sondern um darum das jeder ausprobieren, machen und auch scheitern kann, ohne dass ein Komplexes Regelwerk gibt, ohne das gelernt zu haben Musikmachen keinen Wert haben soll.

tortitch

Re: der größte Neuerer des 20. Jh.

Beitragvon tortitch » Mo 2. Mai 2011, 21:15

buttrock hat geschrieben:Ich versteh unter dieser antiken Traditionslinie, die Annahme, dass Kunst Schoenheit nur in Nachahmung und Ueberhoehung der Natur finden kann. Dass es ein fundamentales Gesetz von Schoenheit gibt, dass sich praezise spezifizieren laesst und keinen Widerspruch duldet: Goldener Schnitt etc oder in unserem Fall die westliche Harmonielehre usw.
Diese Haltung ist im wesentlichen ueberholt. Es ist aber nicht so dass der Kontrapunkt deswegen weniger gut klingt, sondern darum auch andere Moeglichkeiten zu akzeptieren.


Das Konzept der Nachahmung ist sicher schon recht alt. In der aristotelischen Poetik findet sich der Begriff der mimesis, den man vielleicht (ich bin kein Graecist) mit Nachahmung übersetzen könnte. Bei Aristoteles geht es aber nicht so sehr um die Nachahmung der Natur, sondern des Gesellschaftswesens Mensch und seines Handelns.
Abgesehen davon ist das Nachahmungskonzept gerade in der Musik nicht so ganz unproblematisch. Ferner ist der Natur-Begiff ja ein allerhöchst schillernder, mithin kann Naturnachahmung sehr Verschiedenes meinen. Das kann vom Fotorealismus bis zu einem abstrakten Formalismus reichen (zum Beispiel wenn man "Natur" nicht im naiv-gegenständlichen Sinn auffasst, sondern als eine dem Erfahrbaren innewohnende Struktur, eine mathematische Ordnung, die Sphärenklänge meinetwegen). Für die Klassik auf jeden Fall finde ich es spezifisch, dass sie sich vom Präskript der Naturnachahmung löst (Kunstautonomie), anderseits aber auch (noch) Kunst und Literatur als "moralische Anstalt" auffasst (Lessings und Schillers Vorstellungen von der Erziehung des Mensch durch das Theater).
Was du beschreibst, würde ich als das Spannungsverhältnis zwischen Tradition (und kanonisierter Kunst) und Avantgarde bezeichnen. Und du bist auf der Seite der liberalen Avantgarde. So etwa?

Gruß
T.

tortitch

Re: der größte Neuerer des 20. Jh.

Beitragvon tortitch » Mo 2. Mai 2011, 21:37

gorch hat geschrieben:
Wie steht's mit Brian May? Eigenständiger Sound eigenständige Melodien und eigenständige Gitarre mit Serienverdrahtung der Pickups.
.


Zustimmung.

Tom

Re: der größte Neuerer des 20. Jh.

Beitragvon Tom » Di 3. Mai 2011, 07:51

Versteht doch: Regelwerke werden und wurden immer erst historisch im Nachhinein postuliert. Eine Notre Dame Epoche gab es zu Zeiten Perotins in dessen Bewusstsein nicht. Mozart, Haydn, Beethoven und Schubert mögen sich als Wiener Klassik zeitlich und in Teilen der Semantik nahe gewesene sein, trotzdem ist ihre Musik grundverschieden. Die Dialektik dieser Vorgänge wiederholt sich durchaus: im Barock war die Imitation auf musikgrammatikalischer Ebene (Stichwort: Fuge) und gesamtkompositirisch Ziel und Inhalt.

Auch aus dieser historischen Überhöhung entstanden die geschichtsbewussten Komponisten des 20 jh., die es als ihre Aufgabe verstanden, die Musikgeschichte aus diesem Regelkatalog (Fuchs bis Riemann) weiterzuentwickeln.

Das dabei trotzdem gute Musik entstehen kann macht ja nix.

buttrock

Re: der größte Neuerer des 20. Jh.

Beitragvon buttrock » Di 3. Mai 2011, 08:19

tortitch hat geschrieben:
buttrock hat geschrieben:Ich versteh unter dieser antiken Traditionslinie, die Annahme, dass Kunst Schoenheit nur in Nachahmung und Ueberhoehung der Natur finden kann. Dass es ein fundamentales Gesetz von Schoenheit gibt, dass sich praezise spezifizieren laesst und keinen Widerspruch duldet: Goldener Schnitt etc oder in unserem Fall die westliche Harmonielehre usw.
Diese Haltung ist im wesentlichen ueberholt. Es ist aber nicht so dass der Kontrapunkt deswegen weniger gut klingt, sondern darum auch andere Moeglichkeiten zu akzeptieren.


Das Konzept der Nachahmung ist sicher schon recht alt. In der aristotelischen Poetik findet sich der Begriff der mimesis, den man vielleicht (ich bin kein Graecist) mit Nachahmung übersetzen könnte. Bei Aristoteles geht es aber nicht so sehr um die Nachahmung der Natur, sondern des Gesellschaftswesens Mensch und seines Handelns.
Abgesehen davon ist das Nachahmungskonzept gerade in der Musik nicht so ganz unproblematisch. Ferner ist der Natur-Begiff ja ein allerhöchst schillernder, mithin kann Naturnachahmung sehr Verschiedenes meinen. Das kann vom Fotorealismus bis zu einem abstrakten Formalismus reichen (zum Beispiel wenn man "Natur" nicht im naiv-gegenständlichen Sinn auffasst, sondern als eine dem Erfahrbaren innewohnende Struktur, eine mathematische Ordnung, die Sphärenklänge meinetwegen). Für die Klassik auf jeden Fall finde ich es spezifisch, dass sie sich vom Präskript der Naturnachahmung löst (Kunstautonomie), anderseits aber auch (noch) Kunst und Literatur als "moralische Anstalt" auffasst (Lessings und Schillers Vorstellungen von der Erziehung des Mensch durch das Theater).
Was du beschreibst, würde ich als das Spannungsverhältnis zwischen Tradition (und kanonisierter Kunst) und Avantgarde bezeichnen. Und du bist auf der Seite der liberalen Avantgarde. So etwa?

Gruß
T.

Die Naturnachahmung ist nur ein Aspekt, richtig ist dass die Regeln, die durch die Natur vorgegeben schienen spaeter dann aber abstrahiert wurden. Diese Regeln sind aber GEMACHT, sie sind nicht gegeben sondern, deshalb ist eine "Regelverletzung" nicht automatisch abzulehnen. Das mal auf ganz ganz hoher Metaebene. Das mit Avantgarde passt irgendwie schon, wobei mir der Begriff fast etwas zu aufgeladen ist. Wenn dann so etwas wie eine Graswurzel-Avantgarde, Garagenbands, Bedroom-Producer und so weiter.
Vieles was in dem Rahmen produziert wird, ist nicht so perfekt, ist "schlampig" eingespielt weil die Leute nicht 2 Wochen ins Studio koennen sondern ein Album an nem Samstag einklopfen muessen, die Leute wissen nicht unbedingt wie sie ihre Melodien "richtig" harmonisieren und bleiben dann bei Dreiklaengen und ner falschen Stimmfuehrung, die haben keine Zeit sich um das bestmoegliche Homestudio zu kuemmern weil sie wieder auf Tour oder zu ihrem Job muessen usw usf. Ich bin nicht der Meinung das ein 14jaehriger erstmal 4 Jahre ordentlich uebt und lernt bis er "raus" darf. Die Leute sollen Bands gruenden und Alben machen.

tortitch

Re: der größte Neuerer des 20. Jh.

Beitragvon tortitch » Di 3. Mai 2011, 10:18

buttrock hat geschrieben: Diese Regeln sind aber GEMACHT, sie sind nicht gegeben sondern, deshalb ist eine "Regelverletzung" nicht automatisch abzulehnen.


Geschenkt. Ich würde sogar fast sagen, dass es keinen Unterschied macht, ob die Regeln gegeben (Postion A) oder gemacht (Position B) sind. Nehmen wir mal an sie seien "gottgegeben". Das wäre ja noch völlig irrelevant, solange niemand das WEIß. Nehmen wir also auch an, jemand weiß, das sie gegeben sind. Würde ein Vertreter von Position B ihm glauben? Würde das für diesen Vertreter einen Unterschied machen? Vermutlich nicht. Und die Haltung und Einstellung eines Vertreters von Position A würde sich ohnehin nicht ändern. Alles in allem hat sich also durch die (hypothetische) Tatsache, dass die Regeln gegeben sind, nichts geändert.
Nun verschärfe ich die Annahmen. Ich füge hinzu, besagte Person weiß es nicht nur, sie hat auch einen "Beweis" dafür. Würde der Vertreter von Position B den Beweis als solchen akzeptieren? Ich vermute nicht. Zumindest kann ich mir leicht eine Person ausmalen, die den Beweis nicht akzeptiert und bald Gegenargumente zu formulieren weiß. Auch die Verschärfung der Annahme verändert die Situation nicht.
Jetzt stelle ich mir zwei Künstler (Musiker) vor. Der eine existiert im Universum A, der andere im Paralleluniversum B. Die Universen sollen weitgehend identisch sein. Einen wichtigen Unterschied gibt es aber doch, nämlich den, dass der Musiker in Universum A ein Anhänger von Position A ist (entsprechend für B). Wenn beide Musiker über eine ähnliche Mentalität verfügen, kann ich mir auch leicht vorstellen, dass beide einen Reiz am Spiel mit den Regeln und der Regelverletzung empfinden, dass sie ästhetischen Genuss dabei verspüren. Der A-Musiker würde zwar denken, dass er gegen gegebene Regeln verstößt, aber was macht das? Im Endeffekt könnte es also sein, dass beide Musiker trotz ihrer unterschiedlichen Überzeugungen die gleiche Musik machen. Und damit lande ich wieder bei meiner Ausgangsthese, dass es keinen Unterschied macht (siehe oben).
Ein möglicher Einwand könnte jetzt so lauten: Wenn der A-Musiker tatsächlich davon überzeugt ist, dass die Regeln gottgegeben sind, dann wird er den Regelverstoß als Sakrileg sehen. Er wird den Regelverstoß also eher vermeiden. Für Menschen, die die ästhetischen (gegebenen) Regeln mit der Frage nach Gut und Böse verknüpft sehen, ist das wohl ein berechtigter Einwand.
Oh, das ist jetzt etwas lang geworden.
Trotzdem liebe Grüße
T.

Tom

Re: der größte Neuerer des 20. Jh.

Beitragvon Tom » Di 3. Mai 2011, 10:24

Natur gibt keine Regeln vor. Wir Menschen brauchen die Illusion eines Regelwerkes (Religion, Physik, Psychologie, Hirnforschung, Musikerforen etc.) , um uns in der Welt zurecht zu finden.

Das ist doch gut.

Die Beschreibung dieser verschiedenen Regeln, ihrer Geschichte und ihrer Wechselwirkungen bringt uns voran und weiß viel mehr gute als schlechte Geschichten zu erzählen.

Der Moment in dem Regeln zum Dogma abstrahiert werden hat m.E. immer mit Angst zu tun.

Die Avantgarde ist besetzt und in ihrem Geschichtsverständnis zwangsweise rückwärts gewand.

Die Popkultur kann - so scheint es - Individualität besser hervorbringen.
Doch sie droht immer von der Autorität kommerzialisiert zu werden.

Deshalb ganz genau: ja, die Leute sollen machen und nicht im musikschulischen Sinn reflektiert mit ihren Intentionen umgehen, denn nur wenige lassen sich nicht beirren oder werden sogar von der Historie beflügelt.

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Re: der größte Neuerer des 20. Jh.

Beitragvon Matt 66 » Di 3. Mai 2011, 10:32

buttrock hat geschrieben:Ich bin nicht der Meinung das ein 14jaehriger erstmal 4 Jahre ordentlich uebt und lernt bis er "raus" darf. Die Leute sollen Bands gruenden und Alben machen.


Hmmm... Mit dem Satz habe ich so meine Probleme, wenn ich ehrlich bin. Wobei jetzt die Frage wäre, was Du mit "raus dürfen" genau meinst. Dass junge Musiker schon früh beginnen in Bands zu spielen und Erfahrungen auf der Bühne und im Studio machen, kann ich nur unterstützen. Nur dann sollte das auch entsprechend "gekennzeichnet" sein bzw. in entsprechendem Rahmen ablaufen (Schülerkonzerte im Jugendzentrum usw.).
Wenn ich aber beobachte, wieviele "erwachsene" Bands meinen ihre Umwelt mit ihrer Musik beglücken zu müssen, denke ich eher, dass der Welt viel Leid erspart würde, wenn diese Bands (noch) nicht rausgelassen worden wären.
Es ist ein Phänomen der heutigen Zeit, dass jeder dahergelaufene Spinner meint, er könne mit dem PC und ein bisschen Marketing als Musiker die Welt erobern. Sendungen wie DSDS, die vergleichsweise günstigen Möglichkeiten des Homerecording, all das vermittelt den Eindruck: das kann ich auch.

Bitte nicht falsch verstehen. Jeder Mensch soll privat tun, was ihn glücklich macht. Aber in dem Moment, wo es in die Öffentlichkeit geht, fände ich eine gewisse "Kontrollinstanz" recht sinnvoll. Warum war denn früher alles besser? Weil es da noch A&R´s gab, die Ohren hatten. Heute kann jeder Hanswurst via Internet sein Ding durchziehen. Das hat in mancher Hinsicht sicher Vorteile, aber eben auch den Nachteil, dass wirklich jeder Scheiß an die Oberfläche gespült wird und - viel schlimmer - der Markt einfach total unübersichtlich und v.a. auch beliebig geworden ist.

Kunst kommt immer noch von Können, erst dann von Müssen.

Ihr dürft mich ab sofort konservativ nennen...

buttrock

Re: der größte Neuerer des 20. Jh.

Beitragvon buttrock » Di 3. Mai 2011, 10:38

@Tom
:up:

das gute ist das die angesprochene Autoritaet ihren Einfluss verliert. Das ist zwar schlecht wenn man mit Popmusik seine Broetchen verdienen will, aber die Kids von heute haben die Moeglichkeit mit ihrem Laptop Musik zu basteln uns sie ueber Soundcloud zu tauschen (Dubstepforum.com und andere) da gibts es keine Produzenten, Labels, Engineers etc der den irgendetwas sagt. Fuer die ist in den meisten Faellen auch kein Traeumen vom Starsein, sondern einfach Teil ihrer Indentitaet. Ich fahr Skateboard oder ich trage Baseballmuetzen oder ich mach Tracks fuers Internet. Und die haben unter S Santana, Sido,Slayer und Schostakowitsch auf ihrem Ipod.


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