ich trau mich nicht mehr...
Okay, im Ernst: ich weiss ja, mit wem ich es hier zu tun habe und ich weiss auch, dass ich das alles schon zig mal geschrieben habe und dass auch ihr sicher ein gewisses Bild von meiner Sichtweise der musikalischen Dinge habt. Von daher finde ich es gerade müßig, alles zum x-ten Mal zu wiederholen. Ihr werdet euch nicht ändern, ich werde mich nicht ändern. Wozu also darüber sprechen?
Davon abgesehen, dass mein Ursprungs-Posting in erster Linie der Provokation, gepaart mit temporärer Langeweile, geschuldet war, neige ich tatsächlich dazu zu sagen: "früher war alles besser!" So sehr mich Satriani und Govan, aber auch Abba und Amos begeistern, komme ich bei einer rückblickenden Betrachtung der Musikgeschichte INSGESAMT, also in großes Maßstäben gedacht und sehr verallgemeinernd, zu der Erkenntnis, dass sich alles "rückentwickelt", also eben degeneriert. Wir haben heute mehr Wissen über die Musik als je zuvor, wir haben die besten technischen Möglichkeiten, wir haben die tollsten Ausbildungsstätten für Musik, aber ich werde das Gefühl einfach nicht los, dass ein Orlando di Lasso vor 400 Jahren schlichtweg mehr Schöpfungskraft und Kunst (im Sinne von "Können") in sich trug, als alle Neuerscheinungen seit 1900 zusammen. Müßten wir heute nicht viel intensivere, ausgereiftere Musik machen als vor 400 Jahren? Müßten wir nicht eigentlich sagen: "Tja, damals! Ha! Da waren die leider noch nicht so weit. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten war das alles, was rauszuholen war. Aber heute sind wir natürlich viel, viel weiter!"? Und was haben wir heute stattdesen?
Ich will da jetzt gar nicht über systemimanente Unterschiede zwischen U-Musik und E-Musik (Kunstmusik) debattieren. Einfach nur mal gucken, was in so einer Komposition eigentlich drinsteckt. Das meine ich mit Substanz. Welcher Geist, ja, von mir aus auch welches Genie zum Ausdruck kommt. Und das alles, wie gesagt, in Relation zu dieser enormen zeitlichen Spannweite. Wenn man sich mal klarmacht, welches Vorwissen ein di Lasso seinerzeit überhaupt haben KONNTE, und was heute ein normaler Musikstudent an der Hochschule lernt. Und was dann dabei rauskommt!?! Das ist einfach dermaßen diametral, dass es kracht!
Ist ja nicht so, dass ich Lasso nicht schon länger höre, aber mir ist das gestern eben wieder bewusst geworden, wieviel Kunst, und ja, auch Arbeit, in so einem alten, polyphonen Chorwerk steckt. Das nimmt mich einfach gefangen. Das nimmt mich mit beim Hören. Da warte ich jede Sekunde auf den nächsten Ton bzw. "Akkord". Und das Teil dauert ne Stunde!
Sowas habe ich bei Prog-Rock (und vielem anderen) einfach nicht. Da können die sich anstrengen wie sie wollen. Das ist alles total unspannend dagegen. Und das - das ist mein Punkt - obwohl sie doch heute, mit der ganzen Ausbildung und Tralala, wesentlich weiter sein müßten.
Es hat wohl mit Hörefahrung und Hörerwartung zu tun. Damit mich keiner falsch versteht: ich habe ne Menge Spaß bei Fredl Fesl und drei Akkorden im Dreivierteltakt. Aber wenn es darum geht, wirklich kunstvoll zu sein, sprich mit Arbeit und Mühe ein maximales Werk zu schaffen, mit den Regeln und Möglichkeiten der Musik, da sind wir doch ganz schön hinten runtergefallen.
Naja... wollte ich nur mal gesagt haben...
