Das Problem der Bewertung von Musik

tortitch

Das Problem der Bewertung von Musik

Beitragvon tortitch » Fr 3. Aug 2012, 14:46

In diesem Thread würde ich das o.g. Thema gern von ein paar verschiedenen Seiten angehen. Wer gefallen daran hat, mag vielleicht seine Gedanken dazu beitragen.

Um überhaupt irgendwie zu einer Bewertung zu kommen, braucht man wohl zuerst Kriterien. Geläufige Kriterien zur Bewertung von Musik scheinen mir zu sein: Komplexität (in Bezug auf Harmonik, Rhythmik, Melodik), Originalität und Innovation. Außerdem müsste noch ein Konsens darüber bestehen, dass z.B. mehr Komplexität „besser“ ist (das Problem, wie ein „Mehr“ an Komplexität festgestellt werden kann, sei mal zur Seite gestellt).
„Gute“ Musik wäre demnach komplex und originell bzw. innovativ.
Allerdings sind nun spätestens seit dem Punk einige dieser Kriterien als „bürgerlich“ (sprich: spießig, sprich: reaktionär) selbst in der tendenziell ja eher konservativen Popularmusik diskreditiert. Monotonie und Schlichtheit waren die Antworten des Punk auf die Auswüchse des Artrock und des Jazz.
Aber der Punk war eine Revolution oder Rebellion oder wenigstens eine Umwälzung und diese ist von Natur aus instabil. Die Rebellion erzeugt ein Vakuum, das wieder gefüllt sein will. Wo die alten Werte umgestürzt werden, machen sich bald neue breit. Es musste also etwas Neues her und das Neue ist nicht selten die Restauration.
Sind also die o.g. Kriterien immer noch die wirkungsmächtigsten, die im Umlauf sind?
Ließe sich an Postings in diesem Forum nachweisen, dass diese Kriterien auch hier zur Bewertung herangezogen werden?

Gamma

Re: Das Problem der Bewertung von Musik

Beitragvon Gamma » Fr 3. Aug 2012, 15:22

Ist das Dein Ernst? Abgesehen davon, dass ich die Unterscheidung zwischen innovativ und originell in Bezug auf Musik nicht verstehe, würde doch wohl höchstens ein Vulkanier solche Bewertungskriterien anlegen! Für mich ist lediglich wichtig, dass das Musikstück "zu mir spricht". Deiner Definition nach müsste man ja nur von einem Computer ein Stück mit der höchstmöglichen Anzahl an 7 stimmigen Akkorden, Tempo-,Takt, und Tonart-Wechseln ausspucken lassen. Das wäre automatisch originell, und damit DAS BESTE STÜCK DER WELT!

Tom

Re: Das Problem der Bewertung von Musik

Beitragvon Tom » Fr 3. Aug 2012, 15:57

Danke.

Das mit dem Punk (z.B.) ist ein kultursoziologischer Diskurs und wird durch die Betrachtung rein musikalischer Parameter weder hinreichend noch annähernd abgebildet.

Ich würde deshalb versuchen, diese rein musikalischen Parameter lediglich untereinander und möglicherweise dann noch in einem möglichst engen Sinn auf die jeweilige historische Praxis zu beziehen.

Zur Rezeption von Komplexität in Musik fand ich immer Betrachtungen der Musik von Anton Webern und des darauf folgenden Serialismus erhellend, behandelt die Interpretation und die Organisation der 4 musik. Parameter hier doch die wesentlichen Gestaltungsprinzipien von Musik bereits im Finden der Idee.

Ausserdem lässt das Feld der musikalischen Hermeneutik an sich (zu) viele disparate Annäherungen zu, die komplex ineinander verwoben scheinen.

Somit wäre ein enges Eingrenzen des musik. Gegenstandes vorerst geboten.

Daraus ergibt sich dann die Ableitung der Bewertungskriterien in der Rezeption und deren Einordnung in den historischen und soziologischen Kontext sowie die Stellung der Interpretation als möglicherweise unzulässige Verfälschung des vom Komponisten erschaffenen Materials (eine romantische Überhöhung).

usw. bla bla bla

tortitch

Re: Das Problem der Bewertung von Musik

Beitragvon tortitch » Fr 3. Aug 2012, 16:18

Gamma hat geschrieben:Ist das Dein Ernst? Abgesehen davon, dass ich die Unterscheidung zwischen innovativ und originell in Bezug auf Musik nicht verstehe, würde doch wohl höchstens ein Vulkanier solche Bewertungskriterien anlegen! Für mich ist lediglich wichtig, dass das Musikstück "zu mir spricht". Deiner Definition nach müsste man ja nur von einem Computer ein Stück mit der höchstmöglichen Anzahl an 7 stimmigen Akkorden, Tempo-,Takt, und Tonart-Wechseln ausspucken lassen. Das wäre automatisch originell, und damit DAS BESTE STÜCK DER WELT!


Da habe ich mich wohl missverständlich ausgedrückt. Die genannten Kriterien sind solche, von denen ich annehme, dass sie faktisch herangezogen werden (oder worden sind). Wenn zum Beispiel sich jemand abfällig über die Stücke von Band XY in der Weise äußert, die würden ja immer nur aus drei Akkorden bestehen, das sei doch primitiver SCheiß etc. Dann bezieht sich der Kritiker auf das Kriterium der Komplexität.
Dass ganz speziell du, Gamma, andere Kriterien zur Beurteilung hast, mag durchaus sein, darum geht es gar nicht. Im Übrigen denke ich aber, dass "es spricht zu mir" in punkto Klarheit sich noch aufstocken ließe.
Gruß
T.

tortitch

Re: Das Problem der Bewertung von Musik

Beitragvon tortitch » Fr 3. Aug 2012, 16:25

Tom hat geschrieben:Danke.

Das mit dem Punk (z.B.) ist ein kultursoziologischer Diskurs und wird durch die Betrachtung rein musikalischer Parameter weder hinreichend noch annähernd abgebildet.


Das GANZE könnte man als kultursoziologischen Diskurs ansprechen. Und dass der Punk nicht durch einen auf "rein musikalische Parameter" (ohauaha) zu erschöpfen ist, denke ich auch. Das habe ich aber auch nicht behauptet.
Den Rest, den du schreibst, verstehe ich die Bohne nicht, scheint mir aber auch keinen Bezug zu meinem Thema zu haben.
Gruß
T.

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Re: Das Problem der Bewertung von Musik

Beitragvon Matt 66 » Fr 3. Aug 2012, 16:41

tortitch hat geschrieben:Sind also die o.g. Kriterien immer noch die wirkungsmächtigsten, die im Umlauf sind?


Komplexität per se ist für mich kein Kriterium. Ich kann zwar schon feststellen, dass ich ein bestimmtes Stück als komplexer als das andere einordne, aber ich bewerte die Musik nicht danach.
Originalität trifft`s bei mir schon eher. Wenn mir etwas zu altbacken und bekannt vorkommt, verliere ich schnell das Interesse.
Innovation haut jetzt für mich in die gleiche Richtung wie Originalität. Wo siehst Du denn da einen Unterschied der Begrifflichkeiten?

Ansonsten gilt: Bruckner ist besser als Dream Theater! :mrgreen:

Tom

Re: Das Problem der Bewertung von Musik

Beitragvon Tom » Fr 3. Aug 2012, 16:46

tortitch hat geschrieben:Das GANZE könnte man als kultursoziologischen Diskurs ansprechen.


Das könnte man, vorallem auf Popularmusik, das ist aber derzeit für mich nicht interessant.
Kai Ribot könnte hier mitmachen, ich bin dafür ungeeignet.

Gamma

Re: Das Problem der Bewertung von Musik

Beitragvon Gamma » Fr 3. Aug 2012, 16:51

Ok! Ich meine, dass ein Musikstück bei mir irgendeine emotionale Reaktion abseits von Langeweile oder Ärger auslösen muss! Zugegeben, dass ist kein objektives Qualitätskriterium, weil auch schlechte Musik gut unterhalten und Belustigung auslösen kann ( siehe z.b. Basslümmel's "Hund von Baskerville"-Link)! Ich finde aber generalisierende Aussagen in Bezug auf Musik immer schwachsinnig, egal ob es jetzt: "Die besten Songs sind immer einfach", oder das Gegenteil ist. Es mag natürlich objektive Kriterien geben; Es wird wahrscheinlich niemand bestreiten, dass Bach's Brandenburgische Konzerte musikalisch anspruchsvoller sind als die ersten Singles der Kinks! Trotzdem höre ich letztere lieber, weil Bach irgendwie nicht "zu mir spricht"!

tortitch

Re: Das Problem der Bewertung von Musik

Beitragvon tortitch » Fr 3. Aug 2012, 17:01

Matt 66 hat geschrieben:
tortitch hat geschrieben:Sind also die o.g. Kriterien immer noch die wirkungsmächtigsten, die im Umlauf sind?


Komplexität per se ist für mich kein Kriterium. Ich kann zwar schon feststellen, dass ich ein bestimmtes Stück als komplexer als das andere einordne, aber ich bewerte die Musik nicht danach.
:mrgreen:


Aber meinst du nicht, dass - auch wenn nicht von dir - Komplexität oft als Kriterium herangezogen wird? Neulich erst hat jemand in aufwertendem Sinn über die Stücke von Abba behauptet, sie besäßen eine reiche Harmonik.

tortitch

Re: Das Problem der Bewertung von Musik

Beitragvon tortitch » Fr 3. Aug 2012, 17:06

Gamma hat geschrieben:Ok! Ich meine, dass ein Musikstück bei mir irgendeine emotionale Reaktion abseits von Langeweile oder Ärger auslösen muss! Zugegeben, dass ist kein objektives Qualitätskriterium, weil auch schlechte Musik gut unterhalten und Belustigung auslösen kann ( siehe z.b. Basslümmel's "Hund von Baskerville"-Link)! Ich finde aber generalisierende Aussagen in Bezug auf Musik immer schwachsinnig, egal ob es jetzt: "Die besten Songs sind immer einfach", oder das Gegenteil ist. Es mag natürlich objektive Kriterien geben; Es wird wahrscheinlich niemand bestreiten, dass Bach's Brandenburgische Konzerte musikalisch anspruchsvoller sind als die ersten Singles der Kinks! Trotzdem höre ich letztere lieber, weil Bach irgendwie nicht "zu mir spricht"!


Wenn du meinst, ich würde "generalisierende Aussagen in Bezug auf Musik" treffen, habe ich mich wohl immer noch nicht verständlich machen können. Ich möchte Aussagen über die Bewertungspraxis machen. Ich frage mich, welche Kriterien in der gängigen Praxis eine Rolle spielen.
Und in dem Punkt hast du wohl recht: Das Kriterium "sich emotional angesprochen fühlen" lässt sich in der einen oder anderen Version sicher häufig finden. Das muss ich also noch hinzufügen.
Gruß
T.

tortitch

Re: Das Problem der Bewertung von Musik

Beitragvon tortitch » Fr 3. Aug 2012, 17:10

Tom hat geschrieben:
tortitch hat geschrieben:Das GANZE könnte man als kultursoziologischen Diskurs ansprechen.


Das könnte man, vorallem auf Popularmusik, das ist aber derzeit für mich nicht interessant.
Kai Ribot könnte hier mitmachen, ich bin dafür ungeeignet.


Na, geht doch! ;-)

Gamma

Re: Das Problem der Bewertung von Musik

Beitragvon Gamma » Fr 3. Aug 2012, 17:18

Das war gar nicht mal auf Dein Posting bezogen, sondern eine allgemeine Aussage! Zum Beispiel im Bereich Film würde doch auch keiner sagen: "Wow hast Du gesehen, wieviele Schnitte da pro Minute waren? Und das Produktion-Design!" Cineasten machen das, wenn sie sich den Film mehrmals angesehen haben, aber ansonsten geht es doch nur darum, was löst der Film aus? Langweilt er, oder ist man gefesselt? Wenn man sich ein Gemälde anguckt, guckt man ja auch wohl erst, was es darstellt, bevor man mit der Lupe die Pinseltechnik analysiert!

tortitch

Re: Das Problem der Bewertung von Musik

Beitragvon tortitch » Fr 3. Aug 2012, 17:23

Gamma hat geschrieben:Das war gar nicht mal auf Dein Posting bezogen, sondern eine allgemeine Aussage! Zum Beispiel im Bereich Film würde doch auch keiner sagen: "Wow hast Du gesehen, wieviele Schnitte da pro Minute waren? Und das Produktion-Design!" Cineasten machen das, wenn sie sich den Film mehrmals angesehen haben, aber ansonsten geht es doch nur darum, was löst der Film aus? Langweilt er, oder ist man gefesselt? Wenn man sich ein Gemälde anguckt, guckt man ja auch wohl erst, was es darstellt, bevor man mit der Lupe die Pinseltechnik analysiert!


Sicher, sicher. :dontknow:

Tom

Re: Das Problem der Bewertung von Musik

Beitragvon Tom » Fr 3. Aug 2012, 17:29

Das Problem bekommt man, wenn man Musik einer Bewertung zuführen möchte.
Vorher gibt es kein Problem sondern nur Genuss.

Deshalb entzieht sich Musik abseits einer Analyse der Bewertung.

Gamma

Re: Das Problem der Bewertung von Musik

Beitragvon Gamma » Fr 3. Aug 2012, 17:33

Ja, eben! Ich glaube, mir ist immer noch nicht klargeworden, auf was der Thread abgezielt hat!

tortitch

Re: Das Problem der Bewertung von Musik

Beitragvon tortitch » Fr 3. Aug 2012, 17:36

Tom hat geschrieben:Das Problem bekommt man, wenn man Musik einer Bewertung zuführen möchte.
Vorher gibt es kein Problem sondern nur Genuss.

Deshalb entzieht sich Musik abseits einer Analyse der Bewertung.


Was man möchte, ist das eine. Was tatsächlich geschieht, das andere. Es WIRD doch viel über Musik gesprochen. Und oft SIND die Aussagen, die dabei getroffen werden, wertend. Oder?
Und ich finds ganz interessant, welche Kriterien dabei (oft nur implizit) herangezogen werden.
Und du bist ganz frei davon Musik wertend zu betrachten? Respekt!
Gruß
T.

tortitch

Re: Das Problem der Bewertung von Musik

Beitragvon tortitch » Fr 3. Aug 2012, 17:39

Gamma hat geschrieben: Ich glaube, mir ist immer noch nicht klargeworden, auf was der Thread abgezielt hat!


O.K. Ich gebe auf. Klarer kann ich mich leider nicht ausdrücken. Ich kann es einfach nicht. :-(

Läster Paul
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Re: Das Problem der Bewertung von Musik

Beitragvon Läster Paul » Fr 3. Aug 2012, 17:57

Gamma hat geschrieben: Es mag natürlich objektive Kriterien geben; Es wird wahrscheinlich niemand bestreiten, dass Bach's Brandenburgische Konzerte musikalisch anspruchsvoller sind als die ersten Singles der Kinks! Trotzdem höre ich letztere lieber, weil Bach irgendwie nicht "zu mir spricht"!

Die Brandenburgischen Konzerte sind echter RocknRoll: Repeating-Patterns Nonstop, teilweise vom Prinzip her total simpel gemacht.
Dann stellt sich die Frage, was schwerer ist: Etwas komplexes zu entwerfen oder etwas einfaches. Die Young-Brüder haben dazu mal ein interessantes Interview gegeben, wo sie auf das Motto von Keith, wonach ein guter Song nur drei Akkorde hat geantwortet haben: "Drei? Das sind zwei zuviel!". Dann sagten sie auch, das sie für ein Riff, was wir hinterher zu hören bekommen tausend andere im Müll gelandet sind.

Tom

Re: Das Problem der Bewertung von Musik

Beitragvon Tom » Fr 3. Aug 2012, 18:06

tortitch hat geschrieben:Was man möchte, ist das eine. Was tatsächlich geschieht, das andere. Es WIRD doch viel über Musik gesprochen. Und oft SIND die Aussagen, die dabei getroffen werden, wertend. Oder?

Ja. Was folgerst du daraus?
Und ich finds ganz interessant, welche Kriterien dabei (oft nur implizit) herangezogen werden.

Ja, dazu müssten wir uns aber auf eine Metaebene begeben. Dazu fehlen mir die erschöpfenden Kenntnisse.
Und du bist ganz frei davon Musik wertend zu betrachten? Respekt!

Ganz im Gegenteil, ich bin hingebungsvoll wertend was Musik betrifft.

Wir können uns der Sache nur nähern, wenn ich und du und das Forum persönlich werden. Ohne Hose runter geht nix.

Also: traut ihr euch oder verebbt das ganze wiedermal?

Gamma

Re: Das Problem der Bewertung von Musik

Beitragvon Gamma » Fr 3. Aug 2012, 18:27

@ Tom An mir soll's nicht liegen!
@ L.P. Zugegeben, mein letzter Versuch, mich mit Bach anzufreunden, ist schon mehrere Jahre her. Ich glaube, mehr als mir lieb sind!


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