Aus dem Musiker-Alltag...

linus
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Aus dem Musiker-Alltag...

Beitragvon linus » Mo 20. Aug 2012, 13:32

Nachdem im Darkroom bemängelt wurde, daß es zu wenig musikbezogene Beiträge geben würde, möchte ich das vergangene Wochenende aus der Sicht eines "arbeitenden" Musikers schildern.
Das dieses auch noch das heißeste der letzten Zeit sein würde, konnte vorher keiner ahnen...:

Die Cover/Top40/Tanzmusik-Band der ich (noch) angehöre, war an 3 aufeinanderfolgenden Abenden Open-Air gebucht. "Beitragszeit" waren jeweils 5/6/5 Stunden; Aufbau/Soundcheck war Freitag Nachmittag; An die Bühne in der Ortsmitte konnte nur bedingt herangefahren werden, was eine endlose Schlepperei zur Folge hatte. Aufgrund der vorhandenen Menschenmenge war auch nicht möglich, das Equipment nach Gig-Ende abzubauen bzw. zu verstauen - es verblieb auf der Bühne... (O-Ton Veranstalter: "Dafür bezahlen wir der Security viel Geld, das hier nix wegkommt"...).
Bei den Temperaturen dieses Wochenendes zwischen 32 und 36 Grad Musik zu machen, die locker, grovig und mitreißend sein soll, gelangt man sehr schnell an die Leistungsgrenze: die Finger wirken wie Knetgummi, das Instrument ist heiß (!), das Wasser läuft permanent über den Unterarm am Git-Korpus runter und tropft auf den Boden - man erinnert sich sofort an die "großen" Bands, die nach 2 Stunden Konzert der Meinung sind, ausgepowert zu sein... - lächerlich :twisted:
Irgendwann erinnert man sich daran, das man ja einen Röhrenamp hinter sich hat und schaut nach, wie es dem so geht: kochendheiß an der Oberseite - aber die Hitze interessiert ihn einfach nicht: auch nach 6 Stunden lautem Betrieb keine Schwankung in der Power/dem Klangbild - und das in seinem 18. Lebensjahr und in der so "niederträchtigen" Platinen-Bauweise... das sind Momente, wo ich richtig stolz auf ihn bin :kiss:
Währenddessen hat der Keyboarder den zweiten System-Absturz und Bassist u. Mit-Gitarrist (die auf In-Ear und Simulations-Amps schwören) beklagen sich über erste Funktionsstörungen ihrer Klangerzeuger!

Einige Leute der Menge sind der Meinung, das unsere erste Pinkel-Pause nach 3 Stunden Durchspielen schon zuviel sei und bestärken mich so in meinem Entschluß, mit dieser Art des Musizierens aufzuhören: ich muß mir so einen Scheiß nicht mehr anhören :twisted:
Ich teile der zugeschütteten Stulle mit, das wir leider kein MP-3 Player wären die endlos laufen, wir müssen leider pinkeln gehen :fyou: Ihre Antwort verdutzt: "Wie, macht ihr nicht halb-Playback"? Ein Blick auf das Bühnen-Equipment stellt sie ruhig :facepalm:

Die 3 Tage verlaufen insgesamt gut, körperlich ist bereits am Samstag Abend die Leistungsgrenze erreicht: aus jeder Pore trieft Wasser, das Gehirn muß den Fingern befehlen, wo sie hinmüssen: jegliche Automatismen sind mühsame Arbeit, die Lockerheit verfliegt mit jedem steigenden Grad Celsius. Erinnerungen an den Git.Unterricht tauchen auf: "wer gut vorbereitet ist, dem kann auf der Bühne nix passieren"! Nur, was macht man bei 36 Grad im Schatten :sick:

Fazit:
man hat es hinbekommen, die Leute hatten ihren Spaß, die Band geht auf dem Zahnfleisch, der Veranstalter ist zufrieden und hat sofort das nächste Jahr "klargemacht", ich habe ca. 3kg abgenommen (was bei einem Eigengewicht von 67 kg enorm ist und mir beim Sport nicht passiert !), ich liebe Fender-Amps, ich hasse die Generation der Frauen, wg. denen wir immer noch "Sexy" spielen müssen (was eins meiner TopTen-Haßlieder ist :gun: ) damit sie anschließend völlig enthemmt ihre Körper in den Veitstanz zwingen :wallbash: , ich hasse Veranstalter, die nicht verstehen, das eine Band Essen und Trinken muß ("Ihr bekommt doch schon ne Riesen-Gage"... , ich finde es unglaublich, das Veranstalter eine tolle Bühne aufbauen - aber kein adäquates Dach dafür; das eine Band sich quasi auf der Bühne umziehen muß und das Toiletten (um sich einfach mal die Hände zu waschen !!) nicht ansatzweise in der Nähe sind :twisted:

Und so geht es noch 4 Wochenenden weiter - wobei alleine die Aussicht auf kühlere Temperaturen schon Glücksgefühle auslöst...!

Ich hoffe, Ihr hattet auch ein schönes Wochenende ;-)

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Großmutter
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Re: Aus dem Musiker-Alltag...

Beitragvon Großmutter » Mo 20. Aug 2012, 13:48

...dein trefflicher Erfahrungsbericht schildert genau die Gründe, warum ich diese Form des Live-Muckertums nach einem kurzen Selbstversuch vor ca. 20 Jahren umgehend wieder eingestellt habe. Ich hoffe nur, dass die Gage "stimmt"´, denn die ist ja wohl der einzige Grund, um sich derart entwürdigenden Bedingungen auszusetzen...vom bescheuerten Publikum ganz zu schweigen ...

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Spanish Tony
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Re: Aus dem Musiker-Alltag...

Beitragvon Spanish Tony » Mo 20. Aug 2012, 13:49

Let's drink to the hard working people!

Läster Paul
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Re: Aus dem Musiker-Alltag...

Beitragvon Läster Paul » Mo 20. Aug 2012, 13:52

Was ist denn mit der "Riesen Gage" ? Also was bleibt dir nach Abzug aller Nebenkosten Netto übrig. Dann kann ich dir eventuell mehr dazu erzählen.

Gamma

Re: Aus dem Musiker-Alltag...

Beitragvon Gamma » Mo 20. Aug 2012, 14:30

Ne ne! Herzliches Beileid, Linus! Ich finde bei dem Wetter eine mehrstündige Probe, nach der man sich ein paar Tage erholen kann, schon schlimm genug! Aber unter direkter Sonneneinstrahlung im Marathon-Modus angschickerte Frauen im mittleren Alter zu bespassen, indem man "The Final Countdown", "Living on a Prayer" und den "Ententanz" spielt ist schon irgendwie menschenunwürdig! Ich hoffe, Du bist wenigstens reich!

Slayer
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Re: Aus dem Musiker-Alltag...

Beitragvon Slayer » Mo 20. Aug 2012, 15:00

Musiker sind doof! :twisted:

linus
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Re: Aus dem Musiker-Alltag...

Beitragvon linus » Mo 20. Aug 2012, 15:25

@ Großmutter

Ich hatte die Coverband-Zeit während des Studiums angefangen, da mir diese Art des "Jobbens" besser gefiel, als bei irgendwelchen Firmen das Lager aufzufüllen - von der Bezahlung ganz zu schweigen (damals 300,- bis 400,-DM pro Nase für den Abend !!).
Und vor ca. 5 Jahren wurde ich wieder rekrutiert, da es um max. 8-10 Gigs pro Jahr gehen würde - es sind aber mittlerweile 25....!

@ Gamma

Wir rühmen uns bis zum heutigen Tag, nicht ein einziges mal Bon Jovi, Final Countdown, Petry, PUR, Smoke on the water, Summer of 69 und Don`t you forget about me gespielt zu haben !!!
Unser "weltliches Programm" Programm sind ca. 250 Titel und das "sakrale" (u.a. Kölsche Unterhaltung) besteht aus 150 Titeln...!

@ Läster Paul

Nach Abzug aller Kosten (Benzin/Saiten/Steuern) bleiben pro Gig mind. 200,- pro Gig übrig - darunter tun wir es nicht !!

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Großmutter
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Re: Aus dem Musiker-Alltag...

Beitragvon Großmutter » Mo 20. Aug 2012, 15:42

...aber Geld macht nicht glücklich! :twisted:

Gamma

Re: Aus dem Musiker-Alltag...

Beitragvon Gamma » Mo 20. Aug 2012, 15:45

...vor allem, wenn man dafür einen Kreislauf-Kollaps oder Herzinfarkt riskiert!

linus
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Re: Aus dem Musiker-Alltag...

Beitragvon linus » Mo 20. Aug 2012, 16:02

Zunächst einmal hatte das Geld natürlich den Vorteil, das ich mir "ungehemmt" den Fuhrpark zulegen konnte, den ich bis heute habe: das wäre mit einem "normalen" Gehalt nicht zu stemmen gewesen (kein Hobby darf der Grund sein, sich deswegen (!) zu verschulden, ist aber nur meine Meinung !).
Aber Geld ist eben - für mich - keine Antriebsfeder, um Musik zu machen - und deshalb freue ich mich ja auch wie Bolle auf das Ende der Fahnenstange !!

Obwohl mir dieses Prinzip "Coverband bekommt viele Gigs und Verdienstmöglichkeiten vs. "Band mit eigenen Songs und 1,5 Gigs pro Jahr auf Eintritt" tierisch auf den Sack geht (u. die neue GEMA-Verordnung wird das alles noch potenzieren :gun: ). Ich habe auch die Erfahrung mit eigenen Songs und CD-Aufnahme hinter mir, war die musikalisch tollste und schönste Zeit - aber wie es den meisten geht: wo kann man noch spielen ?!? Und darüber bricht alles wieder auseinander...!

Zunächst freue ich mich auf das Gitarrespielen zu Hause, ohne mir irgendetwas "Draufschaffen" zu müssen - einfach Musik machen, ohne ein Ziel im Hinterkopf !

Gamma

Re: Aus dem Musiker-Alltag...

Beitragvon Gamma » Mo 20. Aug 2012, 16:12

Tja nun! Es ist halt nun mal so, dass man draufzahlt, wenn man seine eigene Musik spielt, weil man mittlerweise immer weitere Kreise ziehen muss, aber was soll man machen! Aber es gibt hier doch auch einige andere Kollegen, die einen respektablen Fuhrpark haben, ohne Top 40 gespielt zu haben! Nicht, dass das falsch 'rüberkommt, ich schaue nicht etwa auf Top 40-Musiker herab, aber meine Persönlichkeitsstruktur, und vor allem mein Nervenkostüm würden das nicht erlauben, wenn ich Deine Schilderung so lese!

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Re: Aus dem Musiker-Alltag...

Beitragvon linus » Mo 20. Aug 2012, 16:43

Was ich bei diesen Auftritten als "Allround-Gitarrist" lernte war vor allem: Reduktion !!
Mit Keyboarder und Mit-Gitarrist gewöhnt man sich das selbstverliebte Rumgedudel sehr schnell ab - geübt werden sollte zu Hause ;-) Das wichtigste ist der Groove, wenn der nicht da ist, reagiert das Publikum dementsprechend. Und das wiederum hilft bei der "eigenen" Musik.

Und das Thema "Persönlichkeitsstruktur/Nervenkostüm" ist auch der Hauptgrund für meine Entscheidung: meine Hemmschwelle, um einem Zuschauer mit dem Strat-Endpin die Stirn zu markieren, sinkt von mal zu mal... (nachdem mal wieder der obligatorische Wunsch nach einem PUR/Petry/Maxi-Krause (?) Ballermann-Song geäußert wurde :mad: )

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Re: Aus dem Musiker-Alltag...

Beitragvon Läster Paul » Mo 20. Aug 2012, 17:49

Ein Zeitaufwand von 10 Stunden pro Auftritt ist wohl nicht unrealistisch, macht 20Euro Brutto die Stunde. Bis du als unstudierter so einen Lohn bekommst, musst du heutzutage aber ganz schön lange Füsse küssen. Also würde ich mal sagen: Jammern auf hohem Niveau! ;)
Gut, 400 DM waren damals natürlich eine bessere Gage. Aber die guten Zeiten sind nun mal vorbei, das ist aber zb. im Klassikbereich auch so.
Immerhin verdienst du damit überhaupt Geld, immerhin etwas.

Dregen

Re: Aus dem Musiker-Alltag...

Beitragvon Dregen » Mo 20. Aug 2012, 18:36

linus hat geschrieben:... "Band mit eigenen Songs und 1,5 Gigs pro Jahr auf Eintritt"...


Dass es auch anders geht zeigt beispielsweise Forumler orben, der hier leider viel zu selten vorbeikommt. So viel wie Du wird er pro Auftritt (die sind aber u.a. auch kürzer ;) ) nicht verdienen, aber er spielt seine eigenen songs... :bang: :-)

Basslümmel

Re: Aus dem Musiker-Alltag...

Beitragvon Basslümmel » Mo 20. Aug 2012, 19:04

Dregen hat geschrieben:aber er spielt seine eigenen songs... :bang: :-)



vor bescheuerten Publikum :out:


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Re: Aus dem Musiker-Alltag...

Beitragvon Cat Carlo » Mo 20. Aug 2012, 20:31

Läster Paul hat geschrieben:Ein Zeitaufwand von 10 Stunden pro Auftritt ist wohl nicht unrealistisch, macht 20Euro Brutto die Stunde. Bis du als unstudierter so einen Lohn bekommst, musst du heutzutage aber ganz schön lange Füsse küssen. Also würde ich mal sagen: Jammern auf hohem Niveau! ;)
Gut, 400 DM waren damals natürlich eine bessere Gage. Aber die guten Zeiten sind nun mal vorbei, das ist aber zb. im Klassikbereich auch so.
Immerhin verdienst du damit überhaupt Geld, immerhin etwas.

Du darfst den Lohn eines Angestellten nicht mit dem eines Freiberuflers vergleichen, der komplett mit Equipment eine Leistungspacket verkauft und nicht seine reine Arbeitskraft. Sieh Dir mal die Stundenlöhne an, die Werkstätten verlangen.

Gruß vom Kater

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Re: Aus dem Musiker-Alltag...

Beitragvon Läster Paul » Di 21. Aug 2012, 00:50

Stimmt. Aber man kann es als Nebenjob sehen. Dann gibt es drei Gründe, um Musik zu machen: 1)Frauen, 2)Spass, 3)Geld. Wenn mit 1+2 nichts ist, sollte wenigstens 3 fliessen. Falls ich das nicht brauche, lass ich es. Von dem her: :up:
Hab in der letzten Truppe sogar noch zugebuttert, ohne 1-3. Dann gleich ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

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Re: Aus dem Musiker-Alltag...

Beitragvon Keef » Di 21. Aug 2012, 12:29

Taffe Leistung sag ich mal - Hut ab. Das sind die Kehrseiten des Musikmachens.
Anyway - keep on rockin'

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